ESG – Environmental, Social and Corporate Governance.
Klaus Schwab sagte sogar kürzlich: «Die Schwelle für all das, was wir von einem Unternehmen erwarten, hat sich deutlich verschoben. Es geht heute um viel mehr als nur darum, Gewinne für die Aktionäre zu erzielen.» So ist es seit langem bekannt, dass die stärksten Replikatoren für eine gute Reputation die Effekte einer funktionierenden Corporate Social Responsibility (CSR) und damit verbundener Nachhaltigkeitsprogramme sind. Unternehmen, die daran arbeiten, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, sind in Zeiten der Aufmerksamkeitsökonomie für Interessengruppen attraktiver. Darum reicht auch eine nachhaltige Steigerung der Umsatzzahlen sowie Renditen nicht mehr aus, um einen ausgezeichneten Ruf zu wahren. So sagten im August 2019 Top-CEOs an einem US-Business-Roundtable, dass Unternehmen vor allem in Mitarbeiter investieren, die Umwelt schützen, fair und ethisch mit ihren Lieferanten umgehen sowie ihren Kunden einen echten Mehrwert bieten sollen. Fast 200 globale Geschäftsführer, darunter die Führer von Apple, Pepsi und Walmart, haben damit die Rolle der Wirtschaft in der Gesellschaft neu definiert. Sie brechen damit mit einem Jahrzehnte lang gültigen Unternehmenscredo und gaben sogar eine Erklärung zum «Zweck eines Unternehmens» heraus; darin argumentieren sie, dass Unternehmen nicht länger nur die Interessen der Aktionäre vertreten sollten. ESG-Standards werden damit speziell in der Finanzwelt immer wichtiger.
«Shareholder Value ist nicht mehr alles.»
VPZ: ESG ist speziell für die Finanzindustrie wichtig. Man erlebt immer öfter, dass ein Verstoss gegen ESG nicht mehr toleriert wird. Bauen Stakeholder bewusst Druck auf, dass man nachhaltige Investmentlösungen findet?
Vito Schiro: Hier ist definitiv etwas im Tun. Ich glaube, es kommt tatsächlich von verschiedenen Seiten. Von Konsumentenseite kommen speziell sehr hohe Anforderungen. Vor allem vonseiten der jüngeren Generationen. Millennials (Jahrgänge 1980–1994) oder Generation Z (Jahrgänge 1995–2010) haben ausgeprägtere Ansprüche an Produkte und Marken. Es wird seitens der jüngeren Generation viel stärker erwartet, dass eine Marke ethisch auftritt und zwar über die ganze Wertschöpfungskette. Das Handeln einer Firma muss den ethischen Idealen der Konsumenten entsprechen. Andernfalls bleibt ein wichtiger Teil der Konsumenten weg. Diese Einstellung prägt natürlich den Auftritt der Firma und beeinflusst das Investorenverhalten. Am Beispiel dieses Konsumentenverhaltens sieht man, wie sich der Einfluss auf Unternehmen und auch dessen Investoren ausbreitet. Nachhaltigkeit hat an Bedeutung gewonnen.
VPZ: Das wäre auch wichtig, denn im Moment haben Verstösse gegen ESG-Standards noch keinen direkten Aderlass zur Folge. Gibt es noch Institute, welche nicht nach ESG-Standards investieren?
Vito Schiro: Ich denke schon, dass sich Verstösse bemerkbar machen. Firmen mit tiefen ESG-Werten sind für Konsumenten oder etwa Arbeitnehmer weniger interessant. Dies hat einen Einfluss auf diese Firmen, sei dies nun in Form von Umsatz oder Firmenbewertung an der Börse. Betreffend Investitionen: Das Integrieren von ESG als Thema gewinnt an Bedeutung. Viele, aber längst nicht alle Institute haben ESG-spezifische Mandate im Angebot. ESG ist aber nicht alleinentscheidendes, isoliertes Kriterium – es wird neben anderen traditionellen Parametern wie Bewertung, Volatilität und Qualität angewendet.
Vito Schiro, VPZ Kompetenzbeirat Kapitalmärkte und Bankprodukte
Er würde unter dem Gesichtspunkt von ESG-Kriterien zum Beispiel auf Firmen setzen, die im Bereich erneuerbare Energien tätig sind. Wichtig zu wissen ist: Es sind nicht unbedingt immer die grossen Firmen, welche einen grossen Impact haben.
VPZ: Viele Leute wissen gar nicht so genau, was eigentlich ESG bedeutet. Können Sie uns da aufklären und ausführen, was dieser Begriff speziell für die Finanzindustrie bedeutet?
Vito Schiro: Das Konzept des nachhaltigen Investierens ist in der Tat nicht exakt definiert. ESG bietet hierfür einen Rahmen, indem es drei wichtige Dimensionen festlegt: Environment, Social und Governance. Die Methodologie, anhand welcher man die Unternehmen dann beurteilt, ist jedoch nicht einheitlich. Das Kriterium «Environment» lässt sich vielleicht am ehesten quantifizieren, etwa in Reduktion des C02-Ausstosses; «Governance» erfasst etwa, wie die Führungsstruktur einer Unternehmung ist, Transparenz der Entlöhnung, Zusammensetzung des Verwaltungsrates etc. Bei der Dimension «Social» sind die Bemessungskriterien weniger deutlich: Wie messe ich Kriterien wie Arbeitnehmerrechte, Sicherheit am Arbeitsplatz oder Community Development. Für die Finanzindustrie ist das Thema Nachhaltigkeit beim Investieren jedoch zentral. Es entspricht einem Investorenbedürfnis.
VPZ: Der «Next Generation Client» ist dank der Digitalisierung sehr gut informiert. Wenn beispielsweise ein Nicht-ESG-Produkt in einem Investment-Produkt von einem «Family Office» liegen würde, würden sich Ihre Kunden beklagen?
Vito Schiro: Wir haben uns ESG gegenüber verpflichtet und sollten dies dann auch konsequent versuchen umzusetzen. Ein nicht ESG-konformes Investment darf demnach gar nicht in die engere Auswahl kommen. Diesen Teil umzusetzen ist vergleichsweise einfach – man schliesst solche Investments von vorne weg aus. Schwieriger sind Situationen, in welchen man einen Titel bereits im Portfolio hält, und das besagte Unternehmen gerät hernach wegen ESG-Aspekten in die Kritik. Hat man als Portfolio den Mut, sich von diesem Titel bedingungslos zu trennen, allenfalls einen Verlust zu realisieren oder wird man dann kreativ mit Ausflüchten? Solche Situationen stellen die eigene Investment-Nachhaltigkeit auf die Probe. Es kann nur eine Antwort geben: ESG ist konsequent anzuwenden. Ich bin deshalb überzeugt, dass sich unsere Kunden bei einem Abweichen von unseren ESG-Grundsätzen sogar lautstark beklagen würden.
Nach ESG-Prinzipien investieren muss nicht heissen, dass man Performance aufgeben muss. Es gibt sogar eine leichte Tendenz zur Verbesserung. ESG kann die Qualität eines Portfolios durchaus auch verbessern. Es macht intuitiv auch Sinn. Eine Firma, die etwa Governance-Themen mehr Beachtung schenkt, kann tendenziell negative Schlagzeilen machen. ESG Vorreiter-Firmen sind weniger oft in Skandale verwickelt.
VPZ: Wir stellen fest, dass man zum einen umweltschonend sein möchte, sich aber auch schnellen Gewinn wünscht. Sind die Leute wirklich ehrlich bereit, Nachhaltigkeit mit einer Langfristigkeit zu bezahlen oder ist der Kunde eben so, dass er nicht ewig warten möchte?
Vito Schiro: Investoren und Analysten sind stark auf Quartalsergebnisse ausgerichtet und die Unternehmen richten sich danach. Die Transparenz, die ein regelmässiges Reporting mit sich bringt, ist sicher positiv. Wenn ein Investor seine Investment Ziele jedoch so kurzfristig ausrichtet, scheint mir dies falsch und zudem unnötig stressbeladen. Betreffend Nachhaltigkeit und Rendite: Früher war die vorherrschende Meinung, dass man nachhaltiges Investment mit tieferer Rendite bezahlen musste. Empirische Auswertungen zeigen, dass nachhaltiges Investieren keine Performance-Einbussen mit sich bringt. Im Gegenteil: Es wertet das Portfolio punkto Qualität und Risiko sogar auf. Dies ist auch intuitiv nachvollziehbar: Unternehmen mit guten ESG-Standards dürften weniger oft in Situationen wie Bestechungsskandalen, Betrug oder Geldwäsche verwickelt sein. Deshalb: Nachhaltigkeit beim Investieren fördert tendenziell die Performance oder Qualität des Portfolios.
VPZ: Gibt es eigentlich ein globales und einheitliches Messsystem für ESG?
Vito Schiro: Einen ganz neutralen, objektiven Standard gibt es noch nicht. Aber die verfügbaren Daten hierzu verbessern sich laufend. Mehrere Anbieter beurteilen heute Unternehmen nach ESG-Kriterien. Als Nutzer kann ich heute auf mehrere Anbieter zurückgreifen. Viele Börsen verlangen von den kotierten Unternehmungen Berichte zur Nachhaltigkeit. Die zugänglichen Informationen zu ESG verbessern sich kontinuierlich. Ebenso entscheidend ist aber die Umsetzung: Mit der Einstufung eines Investments nach ESG-Kriterien ist eine Grundlage geschaffen. Wichtig ist jedoch, wie setzt man eine nachhaltige Investment-Strategie um: Die weitverbreiteste ist «negative exclusion». Man schliesst Titel oder Sektoren wie etwa Tabak, Alkohol, Glücksspiel oder Rüstung aus. Ein aktiverer Ansatz umfasst das gezielte Bevorzugen von Titeln mit hohen ESG-Werten. In etwa: Man investiert in den Auto-Sektor indem man die Titel auswählt, welche punkto ESG (und anderer Investmentkriterien) am besten abschneiden. Die global grössten Investment-Firmen wie Fonds, Pensionskassen oder Staatsfonds haben mehr Ressourcen, um eigene ESG-Analysen durchzuführen oder kraft ihrer Investment-Grösse sogar direkt Einfluss oder Druck auf die Gesellschaft zu nehmen.
VPZ: Die Demokratisierung des Wissens hat noch nie so stark – wie 2019 – mit öffentlichen Phänomenen wie zum Beispiel dem «Greta-Effekt» zusammengespielt. Wie ist Ihre Prognose für ESG – für die nahe Zukunft?
Vito Schiro: Beginnen wir bei diesem Trend. Das Bewusstsein auf Seiten der Investoren und der Kunden ist ganz ein anderes als sagen wir vor 5 Jahren. Ich muss zugeben, dass ich bei meinem ersten Kontakt mit ESG noch dachte, es könnte sich dabei um eine temporäre Erscheinung handeln. Das denke ich heute nicht mehr. Die Zahlen belegen dies. Waren 2016 noch USD 22 Billionen Anlagen nachhaltig investiert, so sind dies gemäss GSIA Global Sustainable Investment Review report im 2018 bereits über 30 Billionen. Viele ESG-definierte Produkte wurden seither neu aufgelegt. Ausserdem gaben in einer kürzlich erschienenen Umfrage mehr als zwei Drittel der Investoren an, dass sie ihre ESG-Allokation erhöhen wollen. Wir haben angebots- und auch nachfrageseitig eine Bestätigung des Trends.
VPZ: Was ist ein gutes Beispiel, von einer erfolgreichen Firma, welche den ESG-Kriterien entspricht?
Vito Schiro: Man muss aufpassen. ESG ist nicht das einzige Kriterium im Investmentprozess. Das ESG-Kriterium kann vorgeben, welche Anlagen für das Portfolio in Frage kommen. Die traditionellen Investment-Kriterien finden aber nach wie vor Anwendung. Eine Firma zu nennen, scheint mir deshalb nicht zielführend. Es geht darum, ein Portfolio zusammenzustellen, welches ESG-kompatibel ist und vor allem auch anderen Investment-Kriterien wie Bewertung, Risiko, Qualität entspricht.
VPZ: ESG scheint mehr als ein Trend zu sein. Vielleicht ist es sogar eine Art der Corporate Social Responsibility 2.0?
Vito Schiro: Ich glaube, es ist etwas, das eine längerfristige Ausrichtung hat. Dennoch sollte man das Thema nicht auf die lange Bank schieben. Man sollte das Thema proaktiv angehen und mit Priorität behandeln. Ich persönlich glaube, dass es kundenseitig begrüsst wird, das Thema proaktiv aufzunehmen. Die ESG-Thematik ist meistens ein zentrales Thema bei Portfolio-Review-Gesprächen mit Kunden. Wir sprechen dieses Thema auch an, wenn Fondsanbieter bei unserer Firma vorstellig werden. Es ist interessant zu hören, wie Produktanbieter sich diesem Thema stellen.
VPZ: Ihr Fazit.
Vito Schiro: ESG gewinnt an Dynamik und bewirkt eine positive Veränderung bei Unternehmen, Konsumenten und Investoren. Nachhaltig investieren bedeutet nicht, bei Renditeerwartungen Abstriche machen zu müssen. Im Gegenteil: Es verbessert die Qualität eines Portfolios. Es gibt aber noch einiges an Potenzial: Dank der laufenden Verbesserung der ESG-Datenqualität werden auch Investment-Prozesse den Aspekt der Nachhaltigkeit besser umsetzen können. Nachhaltigkeit beeinflusst unser Tun und damit auch unsere Wirtschaft.